Die Gemeinde Rondeshagen im Kreis Herzogtum Lauenburg
     
 
Thomas Stahlkopf
 
aufgewachsen im Rondeshagener Herrenhaus

Thomas Stahlkopf wurde Ende der 1950er Jahre geboren und hat mit seiner Familie im Herrenhaus einen Teil seiner Jugend verbracht. (Die Familie väterlicherseits stammt aus Stettin/Pommern und ist per Flüchtlingstreck kurz vor Kriegsende im März 1945 nach Rondeshagen gelangt.)

[Anmerkung : Laut Aussage von Helga Tollgreve war das Herrenhaus bis Mitte 1945 der Sitz der Militärverwaltung der Engländer, die das "Schloss" komplett ausgeräumt und für ihre Zwecke beschlagnahmt hatten.

 

 

Flüchtlinge am Schloss im Jahr 1945

Seine Mutter Jutta, geb. Bittermann (* 1939) wuchs in der Famile von Meta und Ernst Heitmann auf, die Mieter im Schloss waren. Sie lernte ihren Mann Rudi Stahlkopf (*1939) in Rondeshagen kennen. Sie heirateten und wohnten bis 1969 dort beim damaligen Herrenhausbesitzer Adolph Sierig und dessen Frau Anna zur Miete. Letztere wurde monatlich bar bei Anna S. bezahlt und von Anna S. sogleich im Mietbuch quittiert. (Die Kaltmiete für die Zweizimmerwohnung betrug 45,- DM. Strom wurde separat an den "Lichtmann" der Schleswag bezahlt, der die Stromzähler jeder Familie vor Ort ablas und sofort kassierte). Für Heizung (Holz und Kohle) hatte jeder Mieter selbst zu sorgen.

Insgesamt gab es in den 1960er Jahren 12 Mieterfamilien, die in den z. T. abenteuerlich abgeteilten 2-3-Zimmerwohnungen wohnten. [Bewohner zu diesem Zeitpunkt : Bolls, Urban, Schöwe, Heitmann, Hagen, Spikowski, Schütt, Franck, Frau Freese (Mutter des letzten Ziegeleibetriebsleiters), später Schwarz (Enkelin von Adolph Sierig (sen.), Stahlkopf, Jöhnck, und als Hausherren: Adolph (jun) und Ehefrau Anna.]

Die eigentliche Bauernstelle betrieb A. Sierig jun. im Schwarzen Weg 7. [Ende der 1960er Jahren gab er den Hof auf, es kam zum Verkauf der Hofstelle. Letztere erwarb die Familie Bruno Hitscher aus Hohenhorn. A. Sierig (jun.) verließ Rondeshagen nach Niedersachsen.]

Thomas Stahlkopf beschreibt in seinen Erinnerungen über die Zeit im "Schloss" die folgenden Zustände:

Die 12 Wohnungen waren zum Teil mit einfachsten Mitteln abgeteit, z. T. trennte der Flur der Eingangshalle zwei Wohnungen. Die Zimmer und auch die Küche waren nicht zwingend im gleichen Stockwerk, siehe auch die beiden Bilder :

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Der hier abgebildete "Bogen" mit der davor liegenden Bretterwand und der dahinter stehenden dunklen Behelfswand bildete nach Kriegsende die Küche einer Flüchtlingsfamilie und diente später als Abstellkammer der Familie Heitmann.
 
Die Eingangshalle heute: in der Mitte erkennen wir den eben genannten Bogen, der im Bild links die Trennlinie zum nächsten Raum darstellt

Jeweils der Wohnraum wurde mit einem Kachelofen und die Küche mit einem Beistellherd beheizt. Das Schlafzimmer war stets kalt und ohne Heizmöglichkeiten, was im Winter zu Eisblumen an der Einfachverglasung am Fenster führte; Blumen auf der Fensterbank wurden durch Pappe oder Zeitungspapier vor dem Fenster vorm Erfrieren geschützt. Thomas S. erinnert sich, dass seine Mutter seinen Schlafanzug im Winter auf dem Kachelofen vorwärmte - in besonders kalten Wintern gab es eine Wärmflasche mit ins Bett.

   
 

Typischer Beistellherd in der Küche mit variablem Feuerloch (Ringe). Der obligatorische verzinkte Eimer für Abfall, Asche oder Abwasser

 
 

Die sanitären Einrichtungen waren schlicht gesagt spartanisch. Fließend Wasser existierte nicht. Es wurde in Eimern von einem der drei Brunnen geholt (Zwei Schwengelpumpen auf dem Hof, eine im Keller in der Waschküche). Toiletten waren "Herzhäuschen", z. T. weit außerhalb des Gebäudes mit "Goldeimern" aus Zink, von der jede Familie ihr eigenes besaß. War der Schieteimer voll, wurde er zum Garten geschafft, man hob ein etwas tieferes Loch aus und beerdigte das Ganze. (Jede Familie hatte ihr eigenes abgeteiltes Gartenstück, wo Obst und Gemüse für den Eigenbedarf angebaut wurde. Die Ernte wurde entweder frisch auf den Tisch gebracht, größtenteils jedoch eingeweckt. Dies war damals die gebräuchlichste Art der Lebensmittelkonservierung, denn Kühltruhen gab es allenfalls in den bäuerlichen Betrieben.

 
 
Die Toiletten waren in doch erheblicher Entfernung vom Herrenhaus am jeweiligen Stall jeder Familie - dahinter links : die Gärten. Im Vordergrund rechts : der "Spielplatz" an den 3 Eichen mit aufgeschüttetem Sand.
 
 
 
 
Die Gartenparzellen sind hier gut zu erkennen, im Hintergrund : Thorn`s Teich und der Graben, der sich am Schlosspark entlang schlängelte. Vorne links die zwei Scheunen des Meyerschen (Woydakschen) Hofes, dahinter die Hofstelle der Familie Dohrendorf.
 

Man wusch sich in sogenannten Waschschüsseln, man "seifte sich ab"..... Die Kinder wurden einmal pro Woche (meistens am Samstag) in einer Zinkwanne gebadet, das Wasser hierfür wurde im großen Einwecktopf auf dem Herd erhitzt.

Waschschüssel für die ganze Familie
Badetag
Abwasserstelle am Schlossteich

Der Waschtag

Für alle Parteien im Schloss gab es einen sogannten Waschtag-Plan, an dem jede Familie ihre Wäsche im Keller wusch. Bevor der Vater zur Arbeit ging, heizte er den großen Waschkessel mit Kohle/Holz für die Hausfrau an. Dann wurde die Wäsche gekocht, danach in einer Zinkwanne mit einem Wäschestampfer vom Schmutz befreit, bzw. zusätzlich mit dem Waschbrett von Hand bearbeitet. Anschließend wurde mit klarem Wasser gespült und alles auf die Wäscheleine im Garten (im Winter auf dem Dachboden) aufgehängt.

  
Waschkessel
Waschtrog mit Wäschestampfer, Umrührholz, Wäschezange und Waschbrett für besonders verschmutzte Wäschestücke

Das Waschwasser wurde z. T. dem "Sod" entnommen. Dies war eine unter dem Kellerfußboden befindliche brunnenartige Regenwasserzisterne. Das Regenwasser wurde aus den Dachrinnen hierher geleitet

Die Seifenlauge und das Spülwasser verschwanden in einem Abflussloch im Boden der Waschküche, das dann "irgendwohin" versickerte. Nicht so das Abwasser der Küche, es landete in einem Zinkeimer, zusammen mit anderen Kleinabfällen im Schlossteich über eine Art Holzrutsche direkt an der Teichböschung am rechten Gebäudeflügel (s.o. Bild rechts). Dies hatte zur Folge, dass diese Stelle des Teiches im Sommer bestialisch stank und auch Bisamratten anzog, die unter der kleinen Insel ihr unterirdisches Domizil hatten.

Stall und Herzhäuschen

Auch "normale" Ratten und Mäuse waren in großer Zahl vorhanden. Sie wurden vom Getreidefutter für das Geflügel (Hühner, Gänse, Enten) oder für das Hausschwein angezogen, das die Familien zum Verzehr groß zogen. Das Futter wurde teilweise per kleinem Bollerwagen aus Berkenthin bei der Landhandels-Außenstelle der Firma Rautenberg - dem sog. "Speicher" geholt. Gelagert wurde es im "Stall", der jeder Familie zur Verfügung stand. Dort wurde auch das Brennmaterial (Holz, Kohle) zusammen mit den Gartengeräten aufbewahrt. Daneben befand sich dann auch das "Herzhäuschen" jeder Mieterpartei. Der große Abstand zur "Toilette" erklärt auch die damals so häufige Verwendung von Nachttöpfen, dessen Urin man dann auch per o. g. Zinkeimer im Schlossteich entsorgte. Toilettengänge bedurften aus den vorgenannten Gründen schon einer gewissen zeitlichen Planung, denn elektrisches Licht gab es weder in den Ställen, noch dem Herzhäuschen. Diese sanitären Verhältnisse waren in den 1960er Jahren auf dem Lande noch weit verbreitet.

1968 verkaufte Adolph Sierig das Herrenhaus an Dr. Ernst Sellnau [1913-1986] (und seine französiche Frau Mireille) aus Lübeck. Er hat das Schloss dann ohne Rücksicht innerhalb von etwa zwei Jahren "entmietet". Damals hieß es im Dorf, er plane so etwas wie ein Sanatorium einzurichten. Später stellte sich heraus, dass er das Herrenhaus sanierte, um es für sich und seine Familie zu nutzen. Mit der inneren Bausubstanz des Herrenhauses ist er sehr rigoros umgegangen...

Kleines Extra
 
 
Vor dem Schloss : Das Kinderfest beim Umzug durchs Dorf 1952
 
 
Persönliche Erinnerungen, verfasst von Thomas Stahlkopf
 
 

"Abenteuerspielplatz Schloss Rondeshagen"

 
 
siehe unten
 
 

Kindheitserinnerungen von Thomas Stahlkopf

Die ersten Lebensjahre verbrachte ich im Rondeshagener Herrenhaus, dem sogenannten Schloss. Wir wohnten damals mit elf weiteren Familien im Schloss als Mieter von Adolph Sierig sen. und seiner Frau Anna, welche damals Eigentümer des Anwesens waren.

Heute kann ich sagen, es waren die wunderbarsten Jahre meiner Kindheit.

   
 
Vor der Freitreppe des Schlosses 1957
 
 
 
Kind auf hinterer Freitreppe
 
Schloss von vorn, 1950er Jahre
 
   
Spielendes Kind an der typischen Zinkwanne

Da mein Erinnerungsvermögen bis etwa 1961 zurück reicht, habe ich acht Jahre bewusst im Schloss erlebt. Im Jahre 1969 mussten wir, wie alle anderen Bewohner des Schlosses auch, unsere Wohnung verlassen. Grund hierfür war der Verkauf des Anwesens an Dr. med. Ernst Sellnau aus Lübeck. Dr. Sellnau „entmietete“ das Herrenhaus nach seinem Erwerb, um es zu restaurieren und anschließend selbst zu nutzen.

Leider gab es in der 1960er Jahren nur wenige Kinder, die im Schloss wohnten. Gelegentlich kamen weitere Kinder zu Besuch ins Schloss. Dies war oft während der Schulferien der Fall. Dies waren der Enkel von Friedrich Hagen und seiner Frau, der Enkel von Charlotte Urban, der Enkel von Wilhelm und Gerda Bols) und der Enkel von Johannes und Paula Franck.

Bis zur Einschulung im Jahre 1964 habe ich das großzügige Areal des Schlosses zum Spielen eigentlich nie verlassen. Allein das Schloss, aber auch die Nebengebäude, sowie der Schlosspark, die große Streuobstwiese und die Gärten, boten fast unerschöpfliche Möglichkeiten zum Spielen. Außerdem waren da noch der Meyer‘ sche und der Dührkop‘ sche Hof. Auch dort wurde gelegentlich gespielt, denn auf dem Hof der Familie Meyer lebte damals meine „Sandkastenfreundin“ Angelika Schultz, die jedoch leider kurz nach meiner Einschulung mit Ihrer Familie fortzog.

So ergab es sich, dass wir uns gewöhnlich kaum mehr als zweihundert Meter vom Schloss entfernt aufhielten.

Erst mit der Einschulung in die damals noch existierenden Grund- und Hauptschule Rondeshagen, erweiterte sich mein Freundeskreis. Dies hatte zwangsläufig zur Folge, dass sich auch mein Aktionsradius auf das gesamte Dorf und die Rondeshagener Feldmark ausdehnte.

Aber zurück zu den frühen 1960er Jahren.

Wie bereits erwähnt, bot das Anwesen des Herrenhauses reichlich Möglichkeiten sich auszutoben. Da war zum Beispiel der Schlossteich, der sowohl im Sommer als auch im Winter sehr einladend war.

   
 
Schlossteich im Winter 1950
 
   
 
Schlittschuhlaufen auf dem Schlossteich in den 1960er
 
 
 
 
 
 
Schlossteich 2009
 

Im Sommer spielten wir gern mit den größtenteils selbst gebauten Schiffen am Wasser. Aber auch die Insel im Teich bot Gelegenheit zum Spielen, obwohl dies von den Eigentümern Sierig nicht gern gesehen war.

   
 
Auf dem Schlossteich im selbst gebauten "Boot"
 

Im Winter war der Schloßteich besonders reizvoll, denn damals gab es noch „richtige“ Winter mit viel Schnee und Eis. Nachdem der Teich zugefroren war und der Frost einige Zeit angehalten hatte, prüften unsere Väter erst einmal, ob das Eis auch wirklich „hielt“. Erst wenn diese das Eis geprüft und freigegeben hatten, durften wir Kinder es betreten.

Sofern das Eis zugeschneit war, wurde der Schnee kurzerhand weggeschoben, damit Schlittschuh gelaufen werden konnte. Gerne wurde auch Eishockey gespielt.
Einige Kinder schoben sich Straßen auf dem Eis frei, um dort mit ihren Schlitten zu spielen, denn der Teich bot reichlich Platz für alle Kinder.
Ich erinnere mich noch daran, dass mein Großvater mir zwei Eispickel angefertigt hatte. Diese bestanden aus einem verkürzten Besenstiel, welcher am unteren Ende jeweils mit einem spitzen Nagel versehen war. Mit Hilfe dieser Eispickel konnte ich mich auf dem Schlitten sitzend hervorragend auf dem Eis fortbewegen.

Aber nicht nur der Schlossteich bot uns Kindern ein tolles Wintervergnügen. Da war auch noch der ebenfalls zum Anwesen gehörende „Thorn’s Teich“. Auch dieser wurde von den Kindern gerne genutzt.

 
 
 
Eishockey-Spiel auf "Thorn`s Teich" (zum Schloss gehörig)
 

Die üppige Rasenfläche vor dem Innenhof des Schlosses bot ebenfalls winterliche Spielgelegenheit. Neben Schneemännern wurden hier auch Iglu‘s aus zuvor hergestellten und mit Wasser stabilisierten Schneeblöcken errichtet.

Nachdem die Tauperiode eingesetzt hatte und das Eis des Schlossteiches allmählich schmolz, wurde dieser - natürlich verbotenerweise – auch gerne zum Schollenfahren genutzt. Dieser Spaß währte jedoch stets nur kurz, denn wir wurden alsbald dabei erwischt, oder kamen völlig durchnässt nach Hause. Es versteht sich wohl von selbst, dass das Schollenfahren wegen der damit verbundenen Ertrinkungsgefahr strikt verboten war.

Im Schlosspark befand sich der sogenannte „Königsberg“. Ein sagenumwobener künstlich aufgeschütteter Hügel, der an allen Seiten hervorragende Möglichkeiten zum Rodeln bot. Wann der Hügel aufgeschüttet wurde und welchem Zweck er eigentlich diente, ist ebenso wenig überliefert, wie die Antwort auf die Frage, ob es denn tatsächlich einen Hohlraum im Inneren des Hügels gab, welcher der Sage nach über einen unterirdischen Gang vom Schloss zu erreichen war. Unsere Eltern hatten schon als Kinder erfolglos versucht, sich von oben bis zur „Schatzkammer“ im Inneren des Hügels heran zu graben. Die Spuren hiervon (eine Kuhle oben auf dem Hügel) waren jedenfalls immer noch deutlich zu erkennen. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, dass es tatsächlich hohl klang, wenn man auf dem Hügel herum hopste.

Ende der 1960er Jahre wurde der Königsberg zum Teil abgetragen. Grund hierfür war der Bau des Einfamilienhauses der Familie Schwarz schräg gegenüber des Gemischtwarenladens der Familie Hein. Heute wird dieses Grundstück von der Familie Thielke genutzt. Der Königsberg wurde irgendwann später vollständig beseitigt.

Sehr beliebt bei uns Kindern - wenn auch selten - war eine Schlittentour mit dem Auto oder mit einem Trecker. Hierzu wurden einfach mehrere Schlitten hintereinander gebunden und dann von einem Fahrzeug gezogen. Dies war natürlich eine Mordsgaudi, denn auf diese Weise kam man endlich einmal schnell und ohne jede Anstrengung vorwärts.

Aber auch die anderen Jahreszeiten hatten für uns Kinder Ihre Reize.
An den drei mächtigen Eichen im Einfahrtsbereich
(Bild s.o.) zum Schlosshof, hatten unsere Väter einen Spielplatz für die Kinder eingerichtet. Spielgeräte suchte man allerdings vergeblich. So etwas gab es nur auf Spielplätzen in der Stadt.
Wir waren schon mit einem Fuder (eine Wagenladung) gelbem Sand zufrieden.
Dieser wurde damals noch aus der Sandkuhle im Krummesser Weg geholt.
Unter den Eichen hatten wir ausreichend Platz, um mit unseren Autos und Treckern im Sand zu spielen. Ich erinnere mich noch daran, dass ganze Straßenlandschaften gebaut wurden. Wenn der Sand dann irgendwann einmal zu weit „auseinander gespielt“ war, wurde einfach ein neues „Fuder“ Sand herangefahren.

Im Schloss-Bereich
Spielplatz bei den Eichen

Der Schlosspark war für uns und die Kinder aus dem Dorf im Herbst besonders reizvoll. Wir bauten uns unter Zuhilfenahme von Gartengeräten weitläufige Straßen, indem wir einfach das auf dem Boden liegende Laub beiseite harkten.
Die Straßen befuhren wir dann tagelang mit unseren Fahrrädern. Andere Kinderfahrzeuge wie z.B. Kettcar, gab es zwar bereits, aber diese konnte sich damals niemand leisten.

Ach ja, und dann war da noch das Schloss selbst.
Spontan fällt mir zum Beispiel der Schloßturm ein. Dies ist der Dachreiter auf dem Giebeldach über dem Innenhof. Natürlich war es strengstens verboten, den Schlossturm zu besteigen, aber gerade deshalb war es besonders reizvoll dies zu tun.

Über den Dachboden gelangte man zum Aufstieg in Richtung Turm, welcher auf einer besonderen kreisförmig angeordneten Balkenkonstruktion steht. In der Mitte dieser Balkenkonstruktion befand sich das „Uhrenhaus“, wo damals noch das originale Uhrwerk untergebracht war. Das Zifferblatt der Uhr befindet sich übrigens noch heute im Innenhofgiebel.Über eine Leiter vorbei am Uhrenhaus gelangte man in den Turm. Der Turm hatte einen mit Zinkblech beschlagenen Holzboden. Einen Teil des Bodens konnte man nach oben heraus drücken und durch die Öffnung den Turm besteigen. Von hier bot sich eine tolle Rundumsicht, welche zum Beispiel einen Blick bis zum Sägewerk und zum Bahnhof in Berkenthin ermöglichte.

Im Turm hing damals noch die Uhrenglocke. Diese wurde durch einen Hammer geläutet, welcher über ein Drahtseil vom Uhrwerk betätigt wurde. Da das Uhrwerk zu unserer Zeit bereits nicht mehr in Betrieb war, läutete folglich auch die Glocke nicht mehr. Es sei denn, wir waren gerade wieder einmal am Werk.

Der besondere „Kick“ bestand nämlich darin, die Glocke zu läuten. Es versteht sich von selbst, dass dies - insbesondere von Anna Sierig - nicht unbemerkt blieb. Diese machte sich dann augenblicklich auf den Weg in Richtung Dachboden, um uns die Leviten zu lesen. Unsere Kunst bestand nun darin, schnellstmöglich wieder den Turm zu verlassen, um nicht erwischt zu werden. Gesichter hatte bis dahin ohnehin niemand zu sehen bekommen, denn geläutet wurde natürlich nur, wenn die Luft rein war. Meistens verschwanden wir auf der Flucht in einer der Abstellkammern im Dachgeschoss. Sollte es Anna Sierig jedoch einmal geschafft haben, schneller auf dem Dachboden anzukommen, als wir unten waren, so versteckten wir uns hinter einem der mächtigen Schornsteine auf dem riesigen Dachboden. Da es hier nur wenig Tageslicht gab, war die Chance erwischt zu werden, als relativ gering einzustufen.

Der Mensch wächst bekanntlich mit seinen Herausforderungen. Also steigerten wir unsere Turmaktivitäten zu akrobatischen Höchstleistungen, indem wir aus dem Turm nach außen hinaus stiegen und auf dem Hosenboden sitzend auf dem Dachfirst entlang krochen. Nicht auszudenken was passiert wäre, wenn sich eine Firstpfanne gelöst hätte. Abgeguckt hatten wir uns diesen Schabernack beim Schornsteinfeger, der damals noch freihändig über den Dachfirst von Schornstein zu Schornstein lief.

Eine weitere Höchstleistung bestand darin, das Innere der „Turmzwiebel“ (zwiebelförmiges Turmdach) zu erklimmen. Durch die Lücken der sternförmig angeordneten Balkenkonstruktion konnten wir hindurch klettern und so das Innere der Turmzwiebel erreichen. Das größte Problem dabei war jedoch der mit Zinkblech beschlagene Boden des Turms. Dieser war von der Mitte her zu den Seiten schräg abfallend und bot somit immer die Gefahr des Abrutschens. Es versteht natürlich sich von selbst, dass wir auch diese Herausforderung mit Bravour gemeistert haben.

Ja, es ging schon manchmal so zu, wie bei den „Heiden von Kummerow“.