Die Gemeinde Rondeshagen im Kreis Herzogtum Lauenburg

Gudrun Bolls erinnert sich an ihre Schulzeit in Rondeshagen in den 1950er

     
 

Erinnerungen an meine Schulzeit, die mein weiteres Leben stark  und nachhaltig beeinflusst haben.

Nach den Sommerferien war der größte Tag in meinem  Leben endlich gekommen. Ab jetzt durfte ich wie meine beiden älteren  Geschwister endlich in die Schule gehen. Welch eine Aufregung.

 
 
 
Vor dem Rondeshagener Schloss von links nach rechts : Jutta Bitterman, Elisabeth Bolls, Gude Voß, Magda Wilde und dahinter Birgitt List (geb. Henry)
 

Wir hatten damals keine Ahnung wie es ablaufen würde, in einem Klassenraum mit vier Schuljahrgängen. Arme Frau Voss. [Lehrerin] Wir hatten nur vormittags Schule, keinen Schichtunterricht mehr. Eingeschult wurden wir zu viert, mehr Kinder gab es in unserem Jahrgang nicht, aber viele Kinder aus den anderen Schuljahrgängen. Der Klassenraum war gerammelt voll und unendlich laut.

   
  Gudrun Bolls mit Lehrerin Thea Voss 1955 ( in der Mitte neben dem Jungen)  

Jeder Tag begann damit das Frau Voss die 4. Klasse mit einer Aufgabe beschäftigte, für die 3.Klasse eine  Aufgabe herausgab  und sich dann der 1. und der 2. Klasse widmete, meist zusammen, nur beim Lesen  wurden auch diese Klassen geteilt. Wenn wir A `s und B `s  schreiben übten überprüfte sie die Aufgaben der höheren Klassen, unterrichtete den vorgegebenen Lehrstoff und behielt dabei die Jüngeren immer im Auge. Noch schlimmer war es, wenn die jüngeren Lesen lernten und die älteren sich auf ihre Aufgaben konzentrieren mussten. Das war eine Meisterleistung von Lehrkraft und Schüler. Dann gab es noch den Schulfunk, wir waren modern, natürlich wurde er in den Unterricht integriert, immer nach Klassenstufe gestaffelt. Das heißt, die einen hörten Schulfunk, die anderen lösten Matheaufgaben und die dritten übten Schreiben.

   
 
Schulfunk in den 1950er
 
Anmerkung

Der Schulfunk

Der Schulfunk sollte den Unterricht ergänzen, bereichern und den Lehrer unterstützen, wenn Unterrichtsmittel fehlten. Seine Ziele sind Bildung und Erziehung. Der Schulfunk der 50er Jahre versuchte seinen Beitrag "zur Formung der Jugend" über drei Wege zu leisten.
  • Bildung ist Wissensvermittlung.
  • Bildung soll seelisches und geistiges Wachstum herausfordern.
  • Bildung ist erfahrbar durch Erlebnis.

Da viele andere kulturelle Sendungen erst in den Abendstunden ausgestrahlt wurden, nutzten auch außerschulische Hörerkreise tagsüber den Schulfunk, z.B. Hausfrauen und Rentner.

 

In der 3. Klasse waren wir nur noch zu zweit, weil zwei Mitschüler das Klassenziel nicht erreicht hatten. Da wurde es dann ganz einfach gelöst, wir zwei machten den Unterricht der 4. Klasse mit und in der 4. Klasse bekamen wir die uns noch fehlenden Unterrichtsinhalte aus der jetzigen 3. Klasse vermittelt. Aber siehe, es ging alles.

  
Das Schulgebäude im Winter in den 1950er
 
Klassenzimmer mit Viererbänken

Die gleiche Situation bei Klassenarbeiten in allen Jahrgängen. Das einzige Mal das wir einige Arbeiten ohne äußere Lärmbelästigung schreiben konnten , waren die Prüfungsaufgaben, die waren damals zur Aufnahme ins Gymnasium und in die Mittelschule, heute Realschule, Standard , in der zweiten Hälfte des 4. Schuljahres.

Im 2. Klassenraum wurden die großen Schüler, 5. – 8.-9. Klasse unterrichtet von Herrn Mohr. Den Ablauf kann ich nicht schildern weil ich nie dabei war.

Unsere Pausen verbrachten wir in den „Kälberbuchten“ vor den jeweiligen Klassenzimmern. Sie waren klein aber sicher, weil vor der Schule die Dorfstraße verlief. Die Holzplanken waren hervorragende Turn- und Klettergerüste.

Ab und zu hatten wir auch Sport. Wir liefen und turnten dann auf dem Brink. Ein riesiger Sportplatz, geeignet für alle Ballspiele, Wettlauf und Bodenturnarten.

    
 
Der Brink-"Sportplatz", Ende der 1950er Jahre
 

Unsere ersten 4 Schuljahre liefen in festen, für uns geordneten und sicheren Bahnen ab. Wir waren in unserem Dorf sicher und stets gut behütet. Jeder kannte jeden, jeder half dem anderen so gut er konnte. Missgunst und Neid hielt sich damals noch recht gut in Grenzen und prägte das Zusammenleben in keiner Weise.

In wunderbarer Erinnerung habe ich die Ausflüge die wir mit der Firma Dametal  aus Bliesdorf machten. Frau Voss und Herr Mohr [Lehrer] haben es auch in der schlechten Zeit immer geschafft, dass alle Kinder an diesen Ausflügen teilnehmen konnten. Das eine Mal ging es in die alte Glücksklee Meierei nach  Neustadt. Die durften wir besichtigen. Wir wurden verwöhnt, durften dort Frühstücken, kostenlos, welch ein Wunder. Aber das Beste war die wunderschöne große Wundertüte die jeder zum Abschied bekam. Da waren Schätze drin. Für uns und für unsere Eltern. Wir waren dann noch in Heiligenhafen und haben den Graswarder besichtigt, Heimatkunde am Objekt. Es war einer der 3 Ausflüge die ich mitgemacht habe und die sich positiv in meine Erinnerung eingegraben haben.

Dann gab es auch die wunderschönen Kinderfeste, die wirklich für die Kinder ausgerichtet wurden. Dieses Ereignis warf schon Wochen vorher seine Schatten voraus. Die Blumenbogen wurden Tage vorher schon mit Grün gebunden, so dass am Tag des Kinderfestes nur noch die Blumen eingebunden wurden.

    
 
Start des Umzugs bei der Schule am Brink
 
    
 
Die Blumenbögen
 

Die Spannung war riesengroß und der ganze Tag Feiertag. Morgens wurden auf dem Schulhof die Spiele ausgetragen. Es wurde der König und die Königin, der Prinz und die Prinzessin  ermittelt. Diese Wettkämpfe wurden mit einer Verbissenheit und großen Fairness ausgeübt. Am Mittag waren dann die Siegespaare ermittelt.

Um 14.00 war dann wieder Treffen an der Schule, die Blumenbögen wurden gebracht, der Zug formierte sich,  die Feuerwehrkapelle spielte, der Umzug konnte starten. Die Siegespaare wurden mit viel lauter Musik und lachenden, fröhlichen Kindern und den sie begleitenden Eltern, von zu Hause abgeholt. Es ging dann weiter zum Gasthaus zur Schmiede, wo fleißige Hände, oder Mütter, schon die Tische eingedeckt, Kuchenteller gefüllt und  lecker angerichtet hatten. Sie warteten auf die Hauptdarsteller, die Kinder. Es war wirklich das Fest der Kinder. Nach der Kaffeetafel wurde getanzt, bis irgendwann Schluss war und das Fest für die Erwachsenen  nach einer kurzen Pause weiter ging.

    
 
Kaffeetrinken in der "Schmiede", die junge Dame mit der Hand am Mund : Gudrun Bolls
 
    
 
Tanz und Polonaise
 

Unseren Freiraum konnten wir über das ganze Dorf und die Feldmarkt ausdehnen. Das war Freiheit und Abendteuer pur, unsere Umwelt war sicher. Der Freundeskreis riesengroß und immer da. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, nichts sollte diese trüben.

Welch ein Irrtum … es änderte sich abrupt nach der 4. Klasse. Ich hatte die Tests bestanden und wechselte nun auf die Realschule nach Ratzeburg. Ich gehörte von heute auf morgen nicht mehr zur Gemeinschaft, ich wollte ja etwas „Besseres“ sein.
In der Ferienzeit war dann alles wieder anders ,da hatte ich Zeit wie alle anderen Kinder auch, wir gingen wieder gemeinsam zum Schwimmen, Pilze suchen oder gingen gemeinsam Erbsen oder Bohnen pflücken, um über eigenes Geld zu verfügen.

   
 
Erbsenpflücken beim Bauern in den 1950er
 

Der Wechsel nach Ratzeburg hat mein Leben nachhaltig beeinflusst. Von heute auf morgen war meine Kindheit zu Ende.
Schulbeginn war um 8.00. Das heißt. Im ersten Schuljahr fuhren wir von Berkenthin nach Ratzeburg mit dem Zug, der war billiger als der Bus, außerdem fuhr auf dem Zug mein Großvater als Zugbegleiter mit. Dann musste der Weg vom Bahnhof in Ratzeburg zur Mittelschule, auch 2 km noch zurückgelegt werden.   Im zweiten Jahr in Ratzeburg fuhr dann zu dieser Zeit nur noch der Bus. Der Schulbus in Berkenthin fuhr um 6.45 ab. Der Weg von Rondeshagen nach Berkenthin musste noch zurückgelegt werden. Natürlich zu Fuß mit einer Aktentasche in der Hand. Ich war damals 10 1/2 Jahre alt. Um 6.10 musste ich spätestens das Haus verlassen, dann musste ich mich aber sputen, meist bin ich um 6.00 gegangen. Jeden Tag, bei Regen und Schnee oder an einem heißen Sommertag. Am Nachmittag fuhr der Bus aus Ratzeburg um 14.30 wieder ab. Das hieß warten auf den Bus , sehr lange wenn du nur 4 Stunden Schule hattest, also um 11.30 die Schule zu Ende war, und das geschah in den ersten Jahren wöchentlich 1-2 mal

   
 
Die Mittelschule in Ratzeburg (heute Ernst-Barlach-Realschule)
 

Ich war täglich gegen 15.45 wieder zu Hause. Dann fingen die Hausaufgaben an. Viel Freizeit zum Spielen war nicht mehr, denn abends war frühes zu Bettgehen angesagt, der nächste Tag wartete schon.

Der Bus nach Lübeck fuhr häufiger, aber in Lübeck mussten wir „Lauenburger“ damals Schulgeld bezahlen, und das konnten sich meine Eltern nicht leisten. Sie haben allen Kindern die Möglichkeit gegeben die Mittelschule zu besuchen, das heißt, sie hatten immer 1 – 2  Kinder auf Achse.

Im zweiten Jahr in der Mittelschule bekam ich dann ein Fahrrad. Damit war schon eine Menge Zeit und Energie gespart. Außerdem entwickelte sich unter den Fahrschülern eine Gemeinschaft und eine Verbundenheit die ich so eng in meinem Leben nicht wieder gefunden habe. Wir hatten alle das gleiche Schicksal, wir waren alle aus unseren festen Strukturen herausgerissen worden und mussten uns neue Wege suchen.

Auch die Umschulung brachte Veränderungen mit sich, aus der kleinen beschützten Dorfschule in eine Schulstruktur, von der wir keine Ahnung hatten. Ein Umgang unter den Schülern wo Neid und Missgunst schon damals eine erhebliche Rolle spielte. Es dauerte eine Weile bevor wir Dorfkinder, es gab noch viele von uns aus anderen Gemeinden, ganz langsam den Zugang zu den Städtern gefunden haben. Einige Klassenkameraden haben es nie geschafft, sind entweder einsam und allein geblieben oder haben die Schule abgebrochen.

Es fing schon mit so Kleinigkeiten wie ein Kindergeburtstag an. Wie sollten wir Fahrschüler Schulfreunde einladen zur Geburtstagsfeier. Bei uns ging es gar nicht, wir hatten keinen Platz jemanden zum Schlafen einzuladen, bei 4 Kindern war der Raum knapp. Außerdem wollten die Städter nicht auf `s Land. Die Strukturen in der Dorfgemeinschaft waren aber auch fast auseinander gebrochen. Man wurde nicht mehr eingeladen, weil man ja nie Zeit hatte, man lud nicht mehr ein weil man nicht mehr dazu gehörte. Da lernte ich zum ersten Mal kennen was es heißt, einsam zu sein.

Das änderte sich dann aber schnell wieder als ich älter wurde. Mit 15 ½ durfte ich, obwohl ich noch zur Schule ging, ein Mal in der Woche abends zur Landjugend. Da gehörte ich wieder dazu, war eine von ihnen, auch wenn ich die Jüngste war.

Ich habe durch meine frühen Erfahrungen gelernt, ohne Kampf und durchbeißen geht wenig, nur klare Vorgaben, festhalten an Träumen und Wünschen und festen Ziele erreichst du im Leben etwas. Ich habe mich danach gerichtet und mein Leben und meine Wünsche und Träume erlebet und gelebt.

Ich möchte nun einmal einen Wintertag beschreiben, einen ganz normalen Tag mit viel Schnee wie wir ihn früher noch hatten.

Aufstehen im Winter immer um 5.00, du wusstest ja nicht ob du das Fahrrad nehmen kannst oder ob du zu Fuß gehen musstest. Neuschnee… also auf Schusters rappen….
Am Weg vom Schlosspark wartete  der Sohn von Frau Voss auf mich um 5.40. Er war 3 Jahre älter und hatte alle Erfahrungen schon gemacht. Weiter zum Schwarzen Weg, da erwarteten wir auf die  Dritte im Bunde. Es war nicht nur Neuschnee sondern auch Schneewehen. In meiner Erinnerung riesengroß, aber ich war ein kleines Kind. Wir hatten  über unsere Strumpfhosen Trainingshosen gezogen, Schnürstiefel aus Leder, Kleider und einen Wintermantel an. Mädchen trugen damals keine Hosen, das kam erst 3-4 Jahre später.

Auf dem Weg nach Berkenthin waren wir schon mit nassen Füssen und nassen Trainingshosen belohnt. Wir waren pünktlich am Bus, aber der war nicht pünktlich. Er kam aus Siebenbäumen und hatte erhebliche Verspätung. Das war normal und kein Grund zur Aufregung, denn auf uns wartete er auch wenn wir uns einmal verspätet hatten. So war die Zeit damals, heute undenkbar.
Um 8.00 kam der Bus endlich. Wir waren durchgefroren und vor allen Dingen nass. Der Bus fuhr damals über Kühsen, Anker, Behlendorfer Mühle nach Ratzeburg. Im Bus waren die Erwachsenen (Pendler zur Arbeit) und Kinder alle halb erstarrt vor Kälte. Aber die Stimmung war gut, es wurde gelacht und gealbert. Auf dem Weg von Anker zur Behlendorfer Mühle ging der Bus aus… nichts ging mehr.

    
 
(Schul)Bus von Dahmetal 1956
 

Handy gab es nicht, Telefon auch nicht in Reichweite. Nun wurde beratschlagt was wir tun sollten, die Erwachsenen entschieden sich, den Weg nach Ratzeburg zu Fuß zu machen. Wir Schulkinder entschieden uns, wir nehmen den Weg über Behlendorf nach Berkenthin und dann nach Hause. Die Gruppe aus Sieksrade entschied sich für den Weg über Kühsen.

Wir waren nass und durchgefroren und nun dieser Weg. Aber es gab keine andere Lösung, da haben wir uns dann auf dem Weg gemacht, immer schön in der Gruppe, die Großen haben die Kleinen motiviert und hochgelobt. Es wurde eine Schneeballschlacht gemacht gemeinsam gegessen und weiter ging  es. Wir sind geschlossen als Gruppe in Berkenthin angekommen und dann gemeinsam nach Rondeshagen weiter gegangen.Nass, müde und an der Grenze unserer Kräfte . Aber wir haben es geschafft, wir waren zu Hause als unsere Klassenkameraden Schulschluss hatten, also ein ganz normaler Schultag im Winter. Buspannen im Winter waren keine Seltenheit 2 – 3 x Im Winter gehörte es dazu. Es gab in der Schule dafür keinen Fehltag angeschrieben, es war eben höhere Gewalt.

Ab dem  nächsten Neuschnee hat uns Herr Sierig dann mit dem Trecker nach Berkenthin zum Bus gebracht. Wir brauchten dann nie mehr den Weg zu Fuß machen, sondern sind von da an immer sicher und trocken zum Bus gekommen.