Die Gemeinde Rondeshagen
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Bericht von Hans Klöcking, 1941

 

Ein Blick ins Amtsbuch der Stecknitzfahrer,   aus „Lübsche Blätter“

Keine der mit dem Hafenleben verbundenen Berufsgruppen hat ihre Überlieferung so treulich bewahrt, wie das Amt der Stecknitzfahrer. In ihrer allbekannten Kringelhöge hat sich altes, echtes Zünfte Brauchtum bis in die Gegenwart lebendig erhalten. Nirgendwo ist daher, wenn wir uns ein Bild der strengen Gemeinschaftsverbundenheit in den alten Ämtern, Korporationen und Kompanien machen wollen, die Brücke in die Vergangenheit so leicht zu schlagen, wie hier. Das vollfaltige Leben des heutigen Jahresfestes mit seinem Pfeifenrauch und seinem Zutrinken aus den alten Zinnkrügen, seinen dröhnenden Liedern und seinen Tänzen bleibt vor unserm Auge, wenn wir in vergilbten Blättern dem einstigen Tages- und Jahreslauf der Amtsbrüder nachspüren. Die Kringelhöge ist die festliche Ausgestaltung der in jeder Gemeinschaft üblichen Jahresversammlung, bei der in erster Linie die Kasse Rechenschaft ablegen muss. In Einnahmen und Ausgaben spiegelt sich dann die ganze Ereignisreihe des verflossenen Jahres. So trocken und nüchtern Ziffern und Stichworte dem Auge und dem Ohr zunächst erscheinen, hinter ihnen mit sich dem Eingeweihten und dem Wissbegierigen ein Blick in die Tiefe oft jahrhundertlanger Geschichte auf. Greifen wir zu dem vierseitigen „Kassaconto“ vom 11, Januar 1841, das nun ein Jahrhundert alt ist!

Die Einnahmeseite beginnt mit der Feststellung, dass vom Vorjahre nichts in der Kasse geblieben sei. Die ersten Summen bringen zwei neue Mitglieder ein, beide mit dem Namen Westfehling, die als Jungbrüder aufgenommen werden; sie zahlen jeder die damals nicht unerhebliche Summe von 27 Kourantmark. Außer den üblichen Hans und Heinrich finden wir unter ihren sechs Vornamen den auffälligeren Nicolaus vertreten, der auf älteren Seiten des Buchet, auf denen jährlich alle Mitglieder verzeichnet stehen, häufig ins Auge springt und auch heute noch in diesen Kreisen gebräuchlich ist. Der Dom war nämlich einst zugleich Pfarrkirche einer Gemeinde des Schifferheiligen Nikolaus, und gerade mit dieser Eigenschaft des Doms hing bereits erwähnte Stiftung des Altars und der Predigerstelle seitens der Stecknitzfahrer zusammen.

Die dritte Einnahmesumme stellt eine Pacht von 40 Kourantmark dar, die ein Vorwerker Bauer für eine dem Amt gehörige Wiese zahlt; diese muss danach in der Kiwittniederung unterhalb des Einsegels belegen gewesen sein. Noch zwei weitere Grundmieten folgen, ein Beweis, dass das Amt die bei früheren günstigeren Abschlüssen erzielten Ersparnisse gern in Grundbesitz anlegte.   Die älteste Abrechnung des Buches, die von 1808, führt bereits die gleichen Grundstücke an.   Der Hauptbesitz aber ist das Amtshaus in der Hartengrube,
es bringt seid 1830 die ehemaligen fünf keinen Budenmieten in einer einzigen Summe im Beirage von 100 $, die der Wirt zahlt.

Die größten Einnahmen entfallen auf die Beiträge, die man hinter einigen, zunächst etwas rätselhaft anmutenden Posten entdeckt. Da ist Z.B. das „Tiedgeld“, zueilen als „Zeitgeld“ verhochdeuscht, das in früheren Jahren mit je drei Kourantmark hinter jedem einzeln aufgeführten Mitglied steht. Die Witwen, die noch Boote gehen lassen und deshalb Mitglieder geblieben sind, zahlen die Hälfte: l Kourantmark 8 (Schilling). Während dieses Zeitgeld leicht als Jahresgeld zu deuten ist, macht der kleinere Posten Rockengeld, meist Roggengeld geschrieben, mehr Schwierigkeiten.
Zwar findet sich irgendwo die Bemerkung, dass es einen Schilling für die Person beträgt; es erscheint aber stets in einer Summe, und diese stimmt nie mit der Zahl der Mitglieder überein. Auch bei den Zeitgeldern ist das nicht ganz der Fall, denn die 4 Ältesten und 4, dann Schaffer sind beitragsfrei, — aber die Zahl der Rockengeld zahlenden ist größer; es zahlen offenbar auch die Vorsteher, wenigstens zum Teil, sicher auch die Witwen. Am ehesten kommt man auf eine Lösung, wenn man die als Scherflein der Schifferfrauen anspricht und hin und wieder einen verwitweten Schiffer annimmt. Das Spinngerät Rocken wäre dann in ähnlicher Weise Namenspate gewesen, wie etwa die Kunkel in dem Ausdruck Kunkelehen für ein Lehen mit weiblicher Erbfolgeberechtigung. Da die Buchung beider Beiträge 1841 gemeinsam erfolgt ist, und zwar mit 73 Kourantmark 8 Schilling, so ist die einfachste Lösung, 24 zahlende Mitglieder anzunehmen, also 30 Amtsbrüder einschließlich der Ältesten. Auf dieser Zahl hält sich die Gemeinschaft die 40 Jahre hindurch, über die der alte Lederband berichtet. Eine weit höhere Summe geht der Amtskasse dann aus den Reisegeldern zu.

Durch den glücklichen Zufall das eine Seite des Buches als Kladde benutzt ist, erkennen wir deren wir deren Berechnungsweise. Für jede volle Fahrt nach und von Lauenburg musste 20 Schilling oder 1,5 Kourantmark 8 Schilling entrichtet werden. Die eingenommenen fast tausend Kourantmark würden also 800 Kanalfahrten im Jahre 1840 bedeuten, oder wöchentlich 20 Schiffe ein und ebensoviel aus. Doch war in Wirklichkeit der Verkehr weit lebhafter, da nicht alle Schiffe die ganze Fahrt machten. Und bis Mölln waren nur 6, bis zu einem „Handweiser" genannten Ort nur 12 Schilling zu zahlen, eine Leerfahrt war mit l Schilling angesetzt, eine Torfladung mit l Kourantmark, ebenso noch eine Ladung Holz von Grambek. Das Holzgeld ist anfangs im Buch gesondert aufgeführt, und zwar als „Staffholtgeld". Der Name erklärt sich dadurch, dass die Anfuhr von Brennholzscheiten den Stecknitzfahrern nicht zustand, sondern den „Holzläufern" der Stecknitz vorbehalten war, während man Bauholz Flößte; es kam also nur Stabholz für die Ladung eines Amtsbruders in Betracht.
Höher als der Jahresbeitrag stellt sich auch ein Posten der Strafgelder, nämlich das „Überzugsgeld". jedes Schiff durfte nur soviel Ladung einnehmen, dass es nicht über einen außen vermerkten Pegelstrich ins Wasser einfand; andernfalls war eine Strafe verwirkt. Offenbar lohnte die Überfracht trotzdem, denn Jahr um Jahr erschienen mehr als 100 Kourantmark unter diesem Titel. Ebenfalls war nicht gestattet, für mehr als einen Kaufmann Ladung an Bord zu nehmen, sonst hieß es: Da „auf zwei Fahrten gefahren" — 6 Kourantmark Strafe! Andere Strafgelder sind folgendermaßen begründet: „Nicht bei der Verzollung gewesen" (12 Kourantmark), „weil er sich nicht am Amt gemeldet hat zu fahren" (3 Kourantmark) und — als Zeichen, wie streng auf die Amtsehre geachtet ward, selbst im Familienleben — „wegen der Bewohnung seiner Frau vor der Hochzeit" (12, Kourantmark zuweilen 15 Kourantmark !) kleine Posten runden das Bild der Einnahmenseite ab, z. b. der Erlös aus einer „unbrauchbaren, im Amt versteigerten Bank!", sowie die Gebühr für einen an ein Nichtmitglied abgetretenen Platz im Kirchengestühl („Von Gärtner Hasse für eine Klappe in der Domkirche 8 Kourantmark". Zum Ausgleich der Kasse müssen endlich von der Amtstotenkasse 35 Kourantmark angeliehen werden. Zur Beschaffung des Tabaks bei der Kringelhöge ist anscheinend in diesem Jahr 1841 eine Sammlung veranstaltet worden; es heißt „für Tabak ist eingegangen 6 Kourantmark 12 Schilling". Auch die Gelder aus der Armenbüchse (im Dom) laufen über das Amt, das dann ihre Verwendung bestimmt (34 Kourantmark 8 Schilling).

Die Ausgabenseite hat 68 Posten, von denen dieses Mal die erheblichen das Amtshaus und die dort offenbar nötig gewesenen Ausbesserungen betreffen. Jedes Jahr wird anscheinend, auf den verschiedenen Gebieten »wechselnd, eine große Ausgabe vorgenommen '. einmal der Neubau einer Schleuse, zu dem auch das Salzfuhr-Kollegium beisteuert, einmal die Beschaffung neuer Zinnkrüge, dann wieder die Durchführung eines Rechtstreits gegen die Stecknitz-Holzfahrer, oder das kostspielige Hinüberwechseln aus der Gefolgschaft des Großen Amts der Schneider in das der Schuhmacher, wodurch man die offenbar schon lange erstrebte Zulassung zum Bürgerschützenhof erreicht. Zu den über 700 $ ausmachenden Ausbesserungskosten treten die Grund und Zinnslasten: Grundhauer 5, Brandkasse 11, Zinsen, größtenteils an die Totenkasse der eignen Amtsbrüder, wie üblich dreiprozentig, 165 $, so dass für dieses Jahr den 370 $ Einnahmen aus Grund und Hausbesitz 900 $ Unkosten gegenüberstehen.

Die wortführenden Älterleute, beide mit dem Namen Stallbaum, erhalten je 24, die zwei Büchsenschaffer — die heute farbloser Kassenwarte genannt würden — je 14, der Amtsschreiber für die Führung der Bücher 44 $ und der Amtsbote 7 $ 2 ß. Die feierliche Verlesung der Amtsrolle vor der Wette, der Polizeiverwaltung des Senats, erfordert jährlich eine Gebühr von 12 für die „Herren der Wette", von 4 für den „Wette* Aktuar", ebensoviel für die beiden Wettediener und l # 8 ß für die Wetteknechte. Stärker zu Buch schlagen die Kosten der Kringelhöge; es heißt da z. B.: Brauer Teßmann für Bier 72 $, an Holm für Tabak 18 $ 12 ß, Wirt Stange für Pfeifen, Lampenöl u. a. 21 $ derselbe für Reinigung der Amtsstube 5 $.Aufwartung 5 $, die Musikanten —1 $ 15 ß. auffällig sind uns heutigen die erheblichen Kosten für Botengänge (33 $). Zur Heizung benötigte man „1,5 Faden zweifüßiges Kluftholz" zu je 24, also 30 #. Der Kanal, die Fahrstraße auf der Amtsbrüder, auf der sie—abgesehen von etlichen Brennholzfahrern — das Alleinrecht hatten, fordert zwar zuweilen von ihnen besonders große Opfer, doch schrumpfen die Ausgaben in gewöhnlichen Jahren auf 4 £ „Schleusenbrüche" (wohl Grundabgabe an Lauenburg), 4 f. „Struutgeld an Schleusenmeister Mellmann" (für Entkrauten) und 30 £ an den Schleusenmeister Maak in Mölln, zusammen. Zuweilen erscheinen im Einzelnen die Kosten für das Aufeisen des Möllner Sees und für das „zustopfen" der Schleusen während der winterlichen Fahrtruhezeit.

Die starke Verbundenheit der Stecknitzfahrer mit der Kirche spiegelt sich deutlich im Rechnungsbuch. Da werden für die Pastoren gegen 100 £ Brennholz geliefert, die Krone im Dom erfordert für 22 £ 8 0 Wachslichte, dem Werkmeister (und Organisten) gebühren 2 £ 6 0, dem Küster 2 A, dem Sargträger l $ 6 0, dem Kirchenvogt und der Stuhlwärterin je 8. Aber auch die Waisenkinder und die Armen werden bedacht (mit 20 £), während die einzige jährliche Verteilung von Butter außer Übung gekommen scheint; einer Witwe wird die Miete (24 £) bezahlt.

Damit nicht genug, erscheinen noch die Namen von sieben weiteren Kirchen in jeder Abrechnung! Die Kanalfahrt dauerte ja wochenlang, und so pflegten seid alter Zeit die unterwegs befindlichen Fahrer am Sonntag jeweils die nächstbeste Kirche aufzusuchen. Daraus war dann, wie sie es zu Hause im Dom gewohnt waren ein ,festes Verhältnis zu der betreffenden Kirche entstanden; feste Stuhlplätze wurden gepachtet, die man gelegentlich, wie im Dom, an andere Kirchengänger wieder untervermietete, Kerzen wurden gestiftet, für Mölln auch ein schöner siebenarmiger Leuchter, selbst Begräbnisplätze hatte man sich gesichert.

1841 sind die aufgewendeten Summen für Berkentin 6 $ 12 ß für Nüsse 3 $ 8 ß, für Büchen und Siebeneichen 5 $ 6 ß . Der Möllner Leuchter fordert jedes zweite Jahr für 26 $ Lichte, billiger kommt die Beleuchtung der Krummesser Kirche, doch will auch der Bote bezahlt werden, der die Kerzen überbringt. Die Lauenburger Kirche wird in den letzten Jahren nicht mehr genannt. Dagegen erfahren wir 1844 noch von einer Beteiligung am Kirchenbau zu Buchen; bei Krummesse erscheinen mehrmals Ausgaben zur Erhaltung des Geländers am Kirchhof.
Jede Jahresabrechnung fügt, teils wiederholend und teils abweichend, einige charakterische Striche zu dem Bilde hinzu, das wir Spätgeborenen uns von dem Leben und Treiben in den alten Lübecker Innungen machen können.


verfasst von : Hans Klöcking, 1941